Nachdenkstürmerei – Tag 3

Nachdem während der vergangenen beiden Tage über die Situation des Theaters gesprochen wurde und teils sehr individuelle Lösungen vorgestellt und diskutiert wurden, folgte nun am dritten Tag des Symposiums die vielleicht radikalste Lösung: Mit dem freien Theaterkollektiv „punktlive“ verlässt das Theater die klassische Bühne und den Theaterraum überhaupt und wird zum Zoom-Event. Die Videokonferenz-Software mit der die meisten in den letzten zwei Jahren mehr oder weniger unfreiwillig konfrontiert worden sind, ist jetzt das Mittel zum Zweck. Unabhängig von der Pandemie. Aber als probates Mittel geeignet, um aus einer sehr anstrengenden Digitalisierungsphase herauszukommen frei nach dem Motto: Schauspieler lesen vor der Kamera einen Text vor, der sich dann digital auf Youtube wiederfindet. Was ja auch der Versuch einer Überlebensstrategie in der Szene war.

„werther live“, eine adaptierte Version von Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“, war dann die erste Produktion des Kollektivs. Einen Trailer findet sich auf Youtube.

Dieser kommt nun allerdings als Film rüber, nicht als Lesung. So funktioniert Youtube eben. Die theatrale Wirklichkeit nun ist aber eine ganz andere. Tatsächlich schaut der Besucher während der Aufführung auf den privaten Laptop von Werther, ist also Teil des Geschehens. „Theater ist Lebensrealität in künstlerischer Übersetzung“, so nennt Johannes Hoff dieses Vorgehen, gibt aber gleichzeitig auch zu, dass diese Form der Umsetzung immer auch abhängig ist vom Stoff und der Sprache. „Romeo und Julia“ in der Schlegel/Tieck Übersetzung würde nicht funktionieren, so Hoff. Es handelt sich um komplett neue Formen, die auf der analogen Bühne nicht möglich sind. So verschwindet Theater im klassischen Sinne und lässt sich durch Begriff Co-Präsenz ergänzen, auch weil der Blick auf das private Laptop zusätzlich zum Film die Aktivitäten und Nachrichten auf dem Whatsapp- und dem Instagram-Profil des Protagonisten zeigt. Zielgruppenanalyse: Das funktioniert natürlich nur innerhalb einer Gesellschaftsschicht, die diese Medien kennt und weiß wie sie funktionieren. Oder auch bei einem Klientel, das nicht ins Theater geht, aber neugierig und offen ist und Digitales anguckt.

Über verschiedene Kanäle ist „werther live“ so eingeschlagen, dass das Stück es sogar in die New York Times schaffte: „Theaters Go Digital to Talk About Life (and Death) in the Pandemic. German playhouses are finding innovative ways to forge connections while their doors are closed.“

Bei all dieser positiven Entwicklung – auch für verschiedene Folgeprojekte, „Möwe.live“ frei nach Tschechow – und darf man nicht vergessen, dass hier ein Format im Vordergrund steht, dessen Grenzen eher ausgereizt sind und so Wiederholungen und Übersteigerungen schwierig bis unmöglich machen. Was der Innovation dieses Ansatzes keinen Abbruch tut, sondern eher eine neben dem analogen Theater existierende theatrale Form ist.

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